Berauschend lichtempfindlich
ETH-Chemiker synthetisierten verschiedene Varianten des Cannabis-Wirkstoffs THC, deren Struktur sich mit Licht ver?ndern l?sst. Damit haben die Forscher ein neues Werkzeug geschaffen, mit dem sie das k?rpereigene Cannabinoidsystem besser untersuchen k?nnen.
Viele denken beim Kürzel THC (Tetrahydrocannabinol) in erster Linie an Marihuana, ans Kiffen und an den Rausch. Doch auch die Medizin ist an dieser Substanz interessiert. Bei schweren Krankheiten eingesetzt, lindert sie Muskelkr?mpfe, Schmerzen, Appetitlosigkeit oder ?belkeit.
THC entfaltet seine Wirkung durch Bindung an entsprechende Rezeptoren, die Cannabinoid-1-Rezeptoren (CB1-Rezeptoren). Diese Rezeptoren sitzen in der Membran von Zellen und kommen in grosser Zahl im zentralen und peripheren Nervensystem vor. Die CB1-Rezeptoren spielen eine wichtige Rolle im Zusammenhang mit Ged?chtnis, Bewegungskoordination, Stimmung und kognitiven Prozessen.
Rezeptoren wichtig für Signalübertragung
Wenn nun ein THC-Molekül an einen CB1-Rezeptor bindet, ?ndert dieser seine Form, was zahlreiche Signalkaskaden im Innern der Zelle ausl?st. Nach wie vor ist es allerdings schwierig, CB1-Rezeptoren und ihre mannigfaltigen Funktionen zu untersuchen, denn Cannabinoide wie THC sind stark fettliebend und betten sich deshalb oftmals unkontrollierbar in die aus Fettmolekülen bestehenden Membranen ein. Um THC oder Varianten davon gezielter für pharmazeutische und medizinische Anwendungen nutzen zu k?nnen, sind daher bessere Kenntnisse über CB1-Rezeptoren wichtig.
Um die vielf?ltigen Wechselwirkungen von CB1-Rezeptoren mit Cannabinoiden zu untersuchen, schufen Chemiker unter der Leitung von ETH-Professor Erick Carreira THC-Moleküle, deren Struktur sich mit Licht ver?ndern l?sst. Davon berichten sie in der jüngsten Ausgabe der Fachzeitschrift externe Seite Journal of the American Chemical Society.
THC mit lichtempfindlicher Antenne
Die Wissenschaftler synthetisierten vier Varianten – sogenannte Derivate – von THC. Dazu h?ngten die Forschenden dem THC-Molekül eine lichtempfindliche Antenne an. Dank der Antenne k?nnen die ver?nderten Moleküle mit Licht von bestimmten Wellenl?ngen gezielt manipuliert werden. Unter ultraviolettem Licht ver?ndert sich die r?umliche Struktur der Antenne. Rückg?ngig gemacht wird diese ?nderung durch blaues Licht.
Die Forscher testeten zwei dieser Derivate in Zellkultur an lebenden Zellen. Die Derivate dockten wie natürliches THC an CB1-Rezeptoren an. Bestrahlten die Forscher das THC-Derivat mit ultraviolettem Licht, ?ndert es wie von den Forschern geplant seine Struktur und aktiviert dadurch den CB1-Rezeptor. Dieser veranlasst unter anderem das ?ffnen von Kalium-Ionenkan?len, die in der Zellmembran sitzen, und Kalium-Ionen str?mten aus der Zelle. Dies konnten die Forscher mit einer in die Zelle eingeführten Elektrode messen.
Bei blauem Licht nahm das THC-Derivat seine ursprüngliche Form ein und schaltete damit den CB1-Rezeptor aus. Die Ionenkan?le schlossen sich, der Kaliumausstrom stoppte. Diese Vorg?nge konnten die Forscher mit Lichtpulsen der entsprechenden Farben mehrmals an- und ausschalten.
Lichtsteuerung als Grundlage
?Mit dieser Arbeit ist uns der Prinzipienbeweis gelungen: Lichtempfindliche THC-Varianten sind ein geeignetes Werkzeug, um CB1-Rezeptoren zu kontrollieren und zu beeinflussen?, bilanziert Michael Schafroth, der als Doktorand bei ETH-Professor Carreira massgeblich an dieser Studie mitgearbeitet hat. Sie h?tten nun eine wichtige Grundlage für weiterführende Projekte, die bereits am Laufen sind. So ist ein weiterer Doktorand aus Carreiras Gruppe, Roman Sarott, daran, weitere THC-Derivate zu synthetisieren, die auf langwelliges rotes Licht reagieren. ?Rotes Licht dringt tiefer ins Gewebe ein als blaues?, sagt Sarott. ?Wenn wir CB1-Rezeptoren in einem lebenden Organismus untersuchen wollen, dann brauchen wir Moleküle, die mit rotem Licht aktivierbar sind.?
An diesem interdisziplin?ren Projekt beteiligt waren neben Forschenden von Carreiras Gruppe auch führende Wissenschaftler der New York University, der Indiana University Bloomington und der University of Southern California sowie der Ludwigs-Maximilian-Universit?t München.
Ansatzpunkt für Medizin
Die berauschende und therapeutische Wirkung von THC ist in vielen Kulturen seit langem bekannt. Der Wirkstoff THC führte schliesslich auch zur Entdeckung des sogenannten Endocannabinoidsystems, das k?rpereigene und k?rperfremde Substanzen aus der Klasse der Cannabinoide sowie deren Rezeptoren im K?rper umfasst.
An einem besseren Verst?ndnis des Endocannabinoidsystems interessiert ist auch die Pharmaindustrie, damit sie einzelne Komponenten besser für pharmazeutische Zwecke ausnutzen kann. Das System gilt als m?glichen Ansatzpunkt, um etwa Suchtverhalten, ?bergewicht, Depression, aber auch die Alzheimer- oder die Parkinson-Krankheit zu behandeln.
Literaturhinweis
Westphal MV, Schafroth MA, Sarott RC, Imhof MA, Bold CP, Leippe P, Dhopeshwarkar A, Grandner JM, Katritch V, Mackie K, Trauner D, Carreira EM, Frank JA. Synthesis of Photoswitchable Δ9-Tetrahydrocannabinol Derivatives Enables Optical Control of Cannabinoid Receptor 1 Signaling. J. Am. Chem. Soc., 2017, 139 (50), pp 18206–18212. DOI: externe Seite 10.1021/jacs.7b06456